inp

l'écriture de l'espace, 2016
Transmedia-Echtzeitinstallation für Kishlet el-Morjeni,
55, rue Zitouna, Medina von Tunis
Liegenschaft des INP - Institut National du Patrimoine
(National Heritage Institute)

1 Beamer, 4 Lautsprecher, mehrkanaliger Klang, Computer und Live-Elektronik
Patiomaße (2-geschossig): 20,50 x 8,70 x 10,30 m (L x B x H)
Stirnwandhöhe: 14,10 m
lichtes Maß: 16,20 x 4,30 (L x B)
Projektion (Abwicklung): 23 x max. 9,50 m (B x H)

im Kontext des Internationalen Lichtkunstprojektes INTERFERENCE
1. - 4. September 2016 in der Medina von Tunis, Tunesien
Kuratoren: Bettina Pelz, Aymen Gharbi

 Die Abbildungen zeigen:
• Tagansichten des 2-geschossigen Innenhofes
• Plan mit Grundrissen EG und 1.OG sowie Schnitt und jeweils eingetragenem Lichtkegel des Beamers. Die blauen Bereiche sind dem Publikum begehbar.
• Fotofolge entsprechend einem potenziellen Rundgang (vgl. hierzu auch die filmische Dokumentation).


Pour n'être pas changés en bêtes, ils s'enivrent
D'espace et de lumière et de cieux embrasés
Charles Baudelaire

l'écriture de l'espace
zeigt die Durchdringung zweier rationaler Raumkonzepte: einer strengen, statischen Architektur und einem fließenden, sphärischen Raum-Zeit-System aus Bild und Klang. Die Ineinanderschreibung von Raum und Raum-Projektion liefert nicht ein einzelnes Ergebnis, sondern bricht das Raumerlebnis in viele unterschiedliche, teilweise sogar gegensätzliche Aspekte: beauty lies in the position of the beholder.

l'espace
Kishlet el-Morjeni, eine osmanische Kaserne aus dem frühen 19. Jahrhundert in der Medina von Tunis, ist heute Sitz der staatlichen tunesischen Denkmalbehörde (Institut National du Patrimoine - INP).
Kernstück der zwei-geschossigen Anlage ist der mächtige, von der Straße aus einsehbare Patio, mit einer umlaufenden Galerie im ersten Stock. Seine Proportionen und Dimensionen sind auf Repräsentation und Ratio ausgerichtet, was sich u.a. in der geschickten Formulierung der perspektivischen Wirkung der Architektur(-details) zeigt.

projection
Das für l'écriture de l'espace entwickelte Zeichensystem verschmelzt Bild und Klang. Den Ausgangspunkt bilden zwei fundamentale graphische und akustische Bausteine: Linie und Ton.
Aus horizontalen, vertikalen und diagonalen Linien, aus Grundschwingungen mit Obertonkonstellationen im Spannungfeld von Konsonanz und Dissonanz entstehen Strukturen von einfachen Paarbildungen bis hin zu komplexen Gitterstrukturen, von Klängen zwischen extremem Legato und kompletter Zersplitterung.
Der Bogen dieser zweiteiligen Botschaft aus Bild- und Klangzeichen spannt sich von Leere zu Dichte, vom Ton zum Geräusch.
Die visuellen Inhalte werden rechnerintern auf der Oberfläche einer imaginären Kugel abgebildet.  Demzufolge wandeln sich die endlichen, zwei-dimensionalen Linien zu drei-dimensionalen Ringen ohne Anfang und Ende. Die Klänge sind als Schleifen und Kontinuum angelegt, Bild und Klang spielen zusammen wie 2 Seiten einer Münze.
Zwei derart gestaltete Ebenen treten bei l'écriture de l'espace in wechselnden Graden der Aktivität auf. Zusammengehalten werden diese beiden Komponenten durch den farbigen Hauch einer Haut, die sich aus einem Reservoire von Texturen aus Makro-Aufnahmen traditioneller tunesischer Kacheln speist.
So entwickelt sich eine Sphäre mit dreifachem Inhalt in der Zeit:
- Die Linien-Komponenten blenden ihre je statischen Inhalte aus und blenden mit neuem Inhalt wieder ein.
- Die Haut wechselt abrupt wie ein Lidschlag und bleibt wie die (himmlischen) Sphären des Pythagoras unhörbar.
- Die Komponenten der dreiteiligen Sphäre bewegen sich in permanenter, nicht gekoppelter, Rotation um die drei Achsen ihres virtuellen euklidischen Raums.

l'écriture de l'espace
Die Projektion schreibt sich nicht zentriert, sondern in einem leicht schrägen Winkel in den Raum ein. Physikalischer und virtueller Raum, mit den je eigenen Regeln verbinden oder besser entbinden sich demzufolge aus den Gegebenheiten. Im Zusammenspiel von Raum, Sphäre und Projektionswinkel entsteht eine Kugel, eine Raum-Kugel, deren geometrisch perfektes Rund an keinem Ort des Raums wahrgenommen werden kann.
Entscheidend ist die extreme räumliche Vielgestalt von l'écriture de l'espace, die aus der Struktur des Patio und der Komplexität der Projektion resultiert.
Die Installation ist für den Betrachter vollständig zugänglich und fordert ein, aus der Ferne, der Nähe, von unten, von oben, frontal und seitlich erlebt zu werden.

Zwei Welten - ein Gebäude und ein audio-visuelles System, beide streng und klar konstruiert treffen in l'écriture de l'espace aufeinander: Das System beschreibt den Raum, der Raum beschreibt das System. Das Ergebnis dieser l'écriture de l'espace bleibt unbeschreiblich.

 

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Um nicht zu wilden Tieren zu werden, berauschen sie sich
am Raum und am Licht und an den feurigen Himmeln
zit. nach: Charles Baudelaire: Les fleurs du mal: Le voyage.
Librairie générale française. Paris, 1972. S. 170.



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